Klar – Kollegen helfen sich gern. Dennoch wird das Potential der kollegialen Beratung immer noch unterschätzt. Vielleicht gelingt die Aufwertung, wenn wir es professioneller machen. Zum Beispiel mit Fragetechniken aus der systemischen Beratung.
Patrzek und Scholer versuchen in diesem Buch das Tool der kollegialen Beratung mit Elementen aus der systemischen Theorie zu kombinieren. Und mein Fazit ist: Das gelingt exzellent!
Was Sie im Buch erwartet
Gleich der Einstieg ist sehr interessant: Welche Fragearten gibt es eigentlich und wie werden sie am besten verwendet, um systemisch wirken zu können? Was auf den ersten Blick sehr theoretisch wirkt, ist sehr konkret und mit vielen Beispielen sehr anschaulich. Und bedenkt man, dass es in dem Buch ja eben um das systemische Fragen geht, ist es genau der richtige Einstieg in die Thematik. Erst wird geklärt, um was es eigentlich genau geht und dann kommen die Autoren dazu, wie diese Fragetechniken im Kontext der kollegialen Fallberatung am besten eingesetzt werden können.
Im Hauptteil wird auf die kollegiale Beratung eingegangen als systematisch und klar strukturiertes Gesprächsformat. Die Autoren stellen einen festen Prozess vor und erläutern, worauf es bei den einzelnen Phasen ankommt. Sehr schön ist dabei der Aspekt der Visualisierung, um die Fragestellung und mögliche Lösungsoptionen greifbar zu machen.
Im hinteren Teil finden sich dann noch tolle Frageoptionen, die in ihrer Vielfalt sehr gut aufbereitet sind, vom Fragen auf Sach-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene bis zum Auseinandernehmen und Hinterfragen von jedem einzelnem Wort im das Problem schildernden Satz. Man findet dort ein Füllhorn an Fragen, die man entweder als Idee für eigene Fragen oder aber als konkret zu übernehmende Beispiele sehen kann.
Den Kollegen noch besser zur Seite stehen
Das Buch beinhaltet auch eine konkrete und vollständige Fallbeschreibung, die einen großen Mehrwert für das skizzierte Vorgehen darstellt. Das macht es wunderbar greifbar und hilft, den Beratungsprozess zu verstehen und zu verinnerlichen.
Natürlich erinnern viele Inhalte des Buches an die vielfältige Coaching-Literatur. Kein Wunder, denn auch im Coaching wird ja systemisch gearbeitet. Die Verbindung mit der kollegialen Beratung ist jedoch neu und zeigt klar auf, dass man kein Coach sein muss, um mit Menschen systemisch arbeiten zu können.
Schön wären noch Alternativ-Szenarien: Wie könnte man das Vorgehen der kollegialen Beratung nutzen, wenn man nicht genügend Personen zusammenbekommt? Wie kann man vorgehen, wenn man das Konzept als Einziger kennt und keine anderen Rollen in der Gruppe vergeben kann (z.B. in bestehenden Meetings)? Und was kann ich tun, wenn ich selbst ein Problem habe, es in meiner Firma aber keine kollegiale Beratung gibt?
Fazit: Sehr spannend und ich würde gern einmal an einem Seminar zu dem Thema teilnehmen.
28. Juni 2019 um 14:35
Was wird aus dem Empowerment-Potential der „Kollegialen Beratung“, wenn der Ausgangspunkt der Buchrezension die Frage suggeriert, diese werde weniger unterschätzt, „wenn wir es professioneller machen. Zum Beispiel mit Fragetechniken aus der systemischen Beratung.“ ?
Um es pointiert zu formulieren: Es wird zugunsten externer Beratungsexpertise im Kern verändert, systemische Berater*innen dringen durch die Hintertür in eine als peer-to-peer- konzipierte Methode ein.
Nichts gegen systemische Fragen. Aber als Berater*in ist hier prinzipiell jede/r Kolleg*in geeignet, auch „bloß“ mit Feldkompetenz. Und nicht mal diese ist immer entscheidend für die Lösungsfindung in der Gruppe. Denn es ist das (auch) unbewusste Potential der Fallberatungsgruppe in ihrem schrittweise strukturierten Prozess, das für Fallgeber wie Berater zum weiterführendem Perspektivenwechsel führt.
Aus unserer Erfahrung der Evaluation Kollegialer Beratung nach dem ‚Heilsbronner Modell‘ wird als entlastend und ermutigend beschrieben, dass gerade keine besonders qualifizierten Fragetechniken an die Fallgeber*in erforderlich waren, weder “systemisch” noch sonst einem Konzept verpflichtet – und dennoch überraschend reichhaltige und weiterführende Lösungsschritte gefunden wurden. Der Verzicht auf Auswahl, Einigung und Anwendung spezieller Beratungsmethoden ermöglicht Fallberatung ohne externe Experten, peer to peer – ein Prozess, der als intendiertes Empowerment verstanden werden kann. Freie Aussprache als einzige Methode der Arbeit in der Gruppe ist ein mächtiges Werkzeug.
Das Wissen um die Problemlösekompetenz der Gruppe ist am Beginn einer Fallberatung noch nicht zu sehen. Ebenso verzichtet das Heilsbronner Modell darauf, den erwartbaren Beratungserfolg an die Fähigkeit der Fallgeber*innen zu koppeln, in der Falldarstellung bereits präzise Vorstellungen zur Lösung ihres Problems formulieren zu können. Es wird sogar explizit Raum für Assoziationen bereitgestellt, deren Nutzen zunächst nicht vorhersehbar sein kann, sondern erst aus dem Prozess entsteht. Dieser enthält so auch ein Moment der Selbsterfahrung von Fallgeber*in wie Berater*innen.
Der Autor Stefan Scholer weist auf die notwendige Unterstützung kollegialer Beratung von oben, durch die Organisation/die Arbeitgeberin der Mitarbeitenden hin. Nur dann wird das Potential dieser Methode für die Qualitätsentwicklung der Arbeit nutzbar. Allerdings reicht es dann eben nicht, dass das Management bspw. eine/n systemischen Berater*in einkauft, um sich von Problemen vor Ort freizukaufen. Expert*innen sind für Beratungsprozesse unverzichtbar, aber haben in der Kollegialen Beratung keinen Platz, egal ob sie systemisch fragen, Rollenspiele inszenieren oder was auch immer vorgeschlagen.